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2 August 2024

Claudia Roth

Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland

Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 2. August 2024

Sehr geehrte Überlebende des Holocaust, 

Liebe Nachgeborenen, 

Sehr geehrte Exzellenzen, 

Kolleginnen und Kollegen, 

Sehr geehrter Roman Kwiatkowski, 

Lieber Romani Rose, 

Lieber Marian Turski, 

Liebe Demokratinnen und Demokraten, 

„Ich bin eingestiegen in den Waggon“, erzählte Zilli Schmidt wieder und wieder, „dann sind wir nach Ravensbrück gefahren, an diesem 2. August. Die, die dageblieben sind, haben sie umgebracht. Alle.“ Zilli Schmidt verlor an diesem Tag in Auschwitz ihre Tochter Gretel, ihren Vater, ihre Schwester, nahezu ihre gesamte Familie. Ein Verlust, ein tiefer Schmerz. Sie hat mich daran teilhaben lassen. Vor zwei Jahren ist diese wunderbare, starke Frau gestorben.  

Es war ein Glück, sie gekannt zu haben.  

Viele von Ihnen hier haben vergleichbares wie Zilli Schmidt durchmachen müssen, kennen den tiefsitzenden Schmerz, der nicht vergeht, haben Familie und Freunde verloren.  

Christian Pfeil, der den Holocaust überlebt hat, hat uns gestern Abend von der so tief berührenden Geschichte seiner Familie berichtet. Für Sie, die überlebt haben, für Ihre Familien, muss es ein sehr schwerer Gang sein, wieder hier an diesen Ort zurückzukehren, der die Wunden, die nie völlig vernarben, wieder aufreißt.  

 Deshalb bin ich Ihnen allen ganz besonders dankbar, dass Sie heute hier dabei sind:  

Es ist eine besondere Ehre für mich ganz persönlich und als Vertreterin der Bundesregierung, hier heute eingeladen zu sein und mit Ihnen gemeinsam gedenken zu können. 

Dieser Ort hier, Auschwitz, steht für den Terror der Vernichtung des nationalsozialistischen Deutschlands. Er steht für das Menschheitsverbrechen Holocaust, er steht für den Genozid an Sinti und Roma – er steht für so unermesslich viel bestialische Gräueltaten, er steht für Schmerz, Leid und Trauer. 

An die 23 000 Sinti und Roma waren Gefangene im Abschnitt IIb in Auschwitz-Birkenau. 4.300 Menschen wurden hier in der Nacht vom 2. auf den 3. August mit Gas ermordet. Viele andere waren vorher bereits wegen Hunger, der Zwangsarbeit sowie Krankheiten umgekommen, Kinder waren Versuchsobjekte des monströsen Dr. Mengele. Nur rund 2.000 haben überlebt. 

Aber dieser Ort steht auch für den mutigen, bewaffneten Widerstand der Sinti und Roma, der brutal niedergeschlagen wurde.  

Insgesamt fanden 500 000 Sinti und Roma durch den vom nationalsozialistischen Deutschland verübten Genozid in ganz Europa den Tod.  

Das beschämt und erschüttert bis heute, auch mich ganz persönlich. Im Namen der Bundesregierung verneige ich mich hier und heute vor all diesen Toten.  

Im Namen der Bundesregierung bitte ich bei allen Sinti und Roma, bitte ich Sie hier aus tiefstem Herzen um Vergebung. 

Aus dem, was hier geschehen ist, erwächst für das Deutschland von heute eine ganz besondere Verantwortung und Verpflichtung. 

Viel zu lange hat es gedauert, bis in Deutschland der Genozid an Sinti und Roma im Nationalsozialismus als solcher anerkannt wurde.  

Aber auch heute sind Sinti und Roma noch viel zu oft überall in Europa damit konfrontiert, diskriminiert, ausgegrenzt und attackiert zu werden, sind Ziel von Hass, Hetze und Gewalt. 

Dem gilt es in aller Entschiedenheit entgegenzutreten, umso mehr in einer Zeit, in der antidemokratische Kräfte in Deutschland die Geister der Vergangenheit beschwören und Pläne schmieden, welche Gruppen von Menschen sie ausbürgern wollen. Um unsere demokratischen Gesellschaftsmodelle zur verteidigen, die auf ein Zusammenleben in Vielfalt und dem Respekt der Verschiedenheit beruhen, gilt es gerade jetzt in breiten Bündnissen von Staat und Zivilgesellschaft Antiziganismus, Rassismus, Antisemitismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen.

Es ist ein großes Glück, dass die so reiche Kultur der Sinti und Roma wieder voller Leben ist, in Deutschland, in Europa. Wir brauchen aber noch mehr von einer Geschichtserzählung, die sehr deutlich macht, wie Sinti und Roma die deutsche, die europäische Kultur mitgeprägt haben, dass sie ein untrennbarer und wichtiger Teil der deutschen wie der Kulturgeschichte vieler anderer Länder in Europa sind.  

Aus dieser Erinnerung hier heute erwächst noch ein weiterer Auftrag, insbesondere auch für uns in Deutschland: Dass wir uns alle zusammen für das europäische Projekt einsetzen, für ein Europa, das für Demokratie, das für Rechtstaatlichkeit und dem unbedingten Schutz von Minderheiten sowie der absoluten Unverletzlichkeit der Menschenwürde steht.  

Für ein Europa, das von innen wie von außen bedroht wird, für ein gemeinsames Europa, das auf dem Versprechen des „Nie Wieder“ aufgebaut wurde. 

Der Schmerz einer Zilli Schmidt, Ihr aller Schmerz ist nicht zu heilen, ohne dieses Bekenntnis: Wir stehen in Ihrer Schuld. 

Stellungnahmen 2024

Piotr Cywinski

Direktor des Staatlichen Museums und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau

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Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments

Kofinanziert von der Europäischen Union und kofinanziert und durchgeführt vom Europarat

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