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2 August 2024

Małgorzata Kidawa-Błońska

Marschallin des Senats der Republik Polen

Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 2. August 2024

Verehrte Überlebende, Zeitzeugen des Holocausts! 

Exzellenzen, verehrte Gäste, meine Damen und Herren! 

Wir sind heute zusammengekommen, um der mehr als einer halben Million Roma und Sinti zu gedenken, die in den Jahren des Zweiten Weltkrieges Opfer der völkermörderischen Ideologie des deutschen Nationalsozialismus wurden.  

Vor genau achtzig Jahren, in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, wurden Tausende von Frauen, Kindern und Männer in die Gaskammern getrieben und genau hier in Auschwitz ermordet.

Das Gelände des "Zigeunerfamilienlagers" ist heute der größte Friedhof für Roma und Sinti in Europa.

Was die Bezeichnung "Zigeunerfamilienlager", die von den Verbrechern, die diese Hölle auf Erden schufen, zynisch verwendet wurde, wirklich bedeutete, wissen wir aus den Aussagen von Überlebenden. 

Die 1935 in Hamburg geborene Elza Baker, Gefangene im KZ Auschwitz-Birkenau, überlebte dank der Unterstützung einer anderen Roma Wanda Fischer.

Hier sah sie Dinge, die kein Kind, kein Mensch jemals sehen sollte.  

Und sie erlebte Leiden, die niemand erleben sollte. Als Kind sah sie, wie Verbrechen an Gefangenen begangen wurden und menschliche Körper an Drähten aufgehängt wurden. Und auf die Frage nach dem größten Geschenk, der größten Gunst, die sie von ihrem Vormund erhalten hat, antwortete sie einfach: „Wenn die Deutschen Menschen zu den Hinrichtungen führten, legte Wanda ihre Hand über meine Augen, damit ich das nicht mit ansehen musste.“ 

Sinti und Roma wurden von den Nazis in Deutschland und in allen besetzten europäischen Ländern seit Beginn des Krieges verfolgt. Und auch schon zuvor, seit der Etablierung der irrsinnigen nationalsozialistischen Rassentheorie.  

Achtzig Prozent der in Deutschland lebenden Sinti und Roma, nahezu alle im Protektorat Böhmen und Mähren und mehr als ein Drittel der in Polen lebenden Roma wurden während des Krieges ermordet. 

Tausende von Roma, die in Polen, Weißrussland, der Ukraine oder Russland lebten, schafften es nicht einmal nach Auschwitz, da sie bei Massenerschießungen durch deutsche Polizei-, Wehrmachts- und SS-Einheiten ermordet wurden. 

Der letzte Akt dieser Tragödie sollte sich jedoch in Auschwitz abspielen. Hier sollte ein ganzes Volk ausgelöscht, seine Kultur beseitigt und die Erinnerung an die Roma und Sinti für immer verloren werden.

Doch den Nazis gelang es nicht, ihren irrsinnigen, verbrecherischen Plan zu realisieren. Der Beweis für ihre endgültige Niederlage ist Ihre Anwesenheit hier. Die Anwesenheit von Roma und Sinti, die den Holocaust überlebt haben, die Anwesenheit ihrer Kinder und Enkelkinder, die Anwesenheit der nachfolgenden Roma-Generationen, die mit Stolz die großartige Tradition und Kultur der europäischen Roma pflegen.

In Auschwitz wollten die Nazis das Volk der Ewigen Wanderer ein für alle Mal aufhalten und auslöschen. Ihr aber setzt euren stolzen Weg durch die Geschichte Europas und der Welt fort. 

Die Frage, die wir an diesem Tag und an diesem Ort stellen müssen, ist nicht nur, ob wir uns erinnern. Vielmehr, ob wir uns an die Tragödie der europäischen Roma und an ihre Ursachen erinnern?  

Das ist eine Frage, auf die wir hier Versammelten die Antwort wissen. 

Viel wichtiger ist die Frage, ob wir durch unser Erinnern dafür sorgen können, dass sich eine solche Tragödie nie wieder ereignet? 

Diese Frage lässt sich schon nicht mehr so einfach beantworten. Gerade heute, wo in Europa wieder Krieg geführt wird. Wenn wieder Zivilisten, Frauen und Kinder in der Ukraine sterben, wo vor achtzig Jahren Nazi-Todesschwadronen Juden und Roma ermordeten.  

Wenn die deutschen Nazis vor achtzig Jahren den Versuch unternehmen konnten, ganze Völker in Europa auszurotten, wenn sie diesen irrsinnigen Plan fast bis zum Ende durchziehen konnten, dann nur, weil es Europa an "Solidaritätsinstinkt" fehlte - eine unmittelbare gemeinsame Antwort auf internationale Aggression, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. 

Zu viele Menschen in zu vielen Ländern haben sich zu lange eingeredet, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus sie nichts angingen. Dass sie überleben würden und sich deshalb nicht um das Schicksal ihrer Mitmenschen kümmern müssten. Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs hat gezeigt, wie illusorisch diese Zuversicht war. 

Ein solches Denken hat es Hitler vor achtzig Jahren ermöglicht, fast ganz Europa zu erobern, fast das gesamte Volk der Roma und Sinti und fast das gesamte jüdische Volk zu vernichten.  

Auf dieses Denken, auf die fehlende Solidarität der demokratischen Welt, setzen heute die neuen Tyrannen, wenn sie Kriege beginnen und Menschen töten. 

Wenn wir uns wirklich an den Holocaust erinnern, muss unsere Antwort zur Verteidigung der Freiheit entschlossen sein. Wenn unser Gedenken von Belang sein soll, müssen wir heute konkrete Solidarität mit allen Völkern zeigen, die Opfer von Krieg, Hass und der Ideologie des Großmachtwahns sind.  

Nach den Geschehnissen in Auschwitz haben wir in Europa geglaubt, dass die Forderung "Nie wieder!" für immer zur Leitlinie für alle Staaten und Politiker werden würde.  

Heute, nach Russlands Aggression gegen die Ukraine, wissen wir erneut, dass nichts ein für alle Mal gegeben ist. Weder der Friede, noch die Demokratie, noch das Vertrauen, nicht einmal die Erinnerung. Das ist eine bittere Erkenntnis, aber es ist auch eine Erkenntnis, die zum Handeln zwingt. 

Ich glaube, dass die Solidarität der freien Welt mit den Völkern, die Opfer einer Aggression sind, dieses Mal nicht zu spät kommt. Und dass die entschlossene Solidarität es uns ermöglichen wird, eine Wiederholung der Tragödie zu vermeiden, die das Volk der Roma und Sinti vor achtzig Jahren ereilte.  

Es ist ihre Geschichte, die uns zeigt, dass die Verteidigung von Freiheit und Frieden ein ewiger Weg ist. 

Stellungnahmen 2024

Piotr Cywinski

Direktor des Staatlichen Museums und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau

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Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments

Kofinanziert von der Europäischen Union und kofinanziert und durchgeführt vom Europarat

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